Angelika Kohlendorfer und Calvin Claus haben bei der diesjährigen Tornado-Europameisterschaft Bronze geholt! Wir gratulieren den beiden herzlich. Der Weg dorthin war allerdings – nennen wir es einmal – „durchlöchert“. Warum, das schildert uns Calvin ausführlich in diesem Artikel.
Diese Geschichte ist eine Fortsetzung. Letztes Jahr holten Angelika und ich bei der Tornado Weltmeisterschaft in Frankreich in der Gesamtwertung Platz 4, in der Mixed Wertung (Frau/Mann gemischt) Silber und Jugend Gold. Zu lesen hier.Korrosion
Unser Vorderbeam von 1996 hat uns bereits im vergangenen Sommer Sorgen bereitet. Das historische Stück mit Vermessungskleber von Atlanta 1996 korrodiert nämlich ganz ordentlich überall dort wo vor 27 Jahren - ich stelle mir den alten Besitzer Mitch Booth (https://de.wikipedia.org/wiki/Mitch_Booth) mit einer Handbohrmaschine vor - eine Schraube oder Niete gesetzt worden ist. Das der damals nicht den Weitblick hatte, das Alu ordentlich vor Korrosion zu schützen, so, dass wir 2023 mit dem Teil auch noch was gewinnen können, sei ihm verziehen. Clemens Holzapfel (Firma https://www.maletschek.at/) hat deswegen bereits letztes Jahr extra eine Rohrkamera angeschafft, um unseren Beam von innen zu begutachten. Wir wollten die Focktrack vom Beam abmontieren, um ein neues Trampolin nähen zu lassen. Während Clemens uns mit beeindruckender Mühelosigkeit Minuten vor unserer Abreise und definitiv nach seinem Dienstschluss, unseren kaputten Großschot-Traveller repariert hat, indem er - Gewindebohrer in der Hand - ein Harken- und ein Frederiksen-Teil zueinander passend macht, erklärt er uns, dass er diese Focktrack definitiv nicht abschrauben würde.Wir verließen also die Firma Maletschek mit einem frisch gebastelten Großschot-Traveller, einem wieder dicht gemachten Rumpf und etwas Bauchweh. "Der Beam bricht!", hauchte mein Vater etwas echauffiert durchs Telefon. Wir sollten nach Schweden fahren - noch vor der Weltmeisterschaft - um einen neuen Beam von Göran Marström zu holen, der hätte nämlich sicher noch wo einen rumliegen. Dass das dem Urlaubscharakter unserer Frankreichreise stark zugesetzt hätte, ist klar. Wir sind also nicht nach Schweden gefahren und haben damals entschieden, dass halt "irgendwann im Winter" zu machen.
Der Winter kam. Christian hat sich alleine zu seinem alten Freund Göran Marström (https://en.wikipedia.org/wiki/G%C3%B6ran_Marstr%C3%B6m) aufgemacht und dort tatsächlich in irgendeinem Lager aus irgendeiner Ecke die letzten zwei Beams gefischt. Einen für hinten, einen für vorne. Göran hat die dann meisterlich an unser Boot angepasst. Keine Ahnung was da genau notwendig ist, aber es scheint eine Kunst zu sein. Für das Bohren der Löcher nach Vorlage des alten Beams - damit Klemmen, Focktrack, Spifallblöcke, etc. befestigt werden können, hatte der über Achzigjährige aber keine Zeit.
So kam es, dass wir den ganzen Winter über zwar wunderschöne neue Beams im Lager liegen hatten, aber ohne Löcher, um irgendwas daran zu befestigen.
Wo sind meine Löcher?
Ich bin ja schon auch Techniker, aber ich mache was mit Computern. Da gibt es grundsätzlich eine sehr einfache Methode, um etwas rückgängig zu machen. Steuerung-Z funktioniert aber nicht bei einem Loch. Eine Handbohrmaschine an ein Aluminiumrohr zu setzen, das so rar ist, wie das letzte Einhorn, ohne Steuerung-Z, löste in uns allen eher ein mulmiges Gefühl aus. Christian hat unsere Lochunsicherheit auf ein neues Niveau gehoben, mit seinem Plan, einen Maschinenbauer zu finden, der für dieses Projekt eine CNC Fräse programmiert. Es folgten sechs Monate teaminterner Kampf.Was macht man als hilfloses Kind, das etwas vom Vater braucht, der das aber nicht anschafft? Jammern. Ein ewiges "Wo sind meine Löcher?"-Geschrei bei Familienabendessen war die Folge. Die totale Eskalation wegen Löchern! Anfang Juni hatte ich dann genug von der Perfektionismusbremse. “Perfect is the enemy of done”. Also nahm ich den Hörer in die Hand und rief Clemens an.
Calvin: "Ist es denn wirklich so schwierig 12 Löcher in einen Beam zu bohren? Brauche ich da wirklich eine CNC Fräse?"
Clemens: "Na muss das 100%ig genau sein?"
Calvin: "Keine Ahnung, glaub nicht."
Clemens: "Ich ruf mal für dich den Amadeo an." Ein paar Tage später stand ich bei Amadeo Garbelotto (Metallico), in Weiden. Der war erfrischend entspannt und pragmatisch. Außerdem sah es in seiner Werkhalle so aus, als würden dort regelmäßig Löcher irgendwo reingebohrt werden. Ich dachte "Hier bin ich richtig!". Amadeo war aber auch gleichzeitig etwas zurückhaltend als er erfuhr mein Vater wäre involviert. Er kenne ihn und will da nicht irgendwo was bohren, was dann nicht passt. "Ja bohr du nur mal die Löcher an den richtigen Stellen vor und ich bohre sie dann durch in der richtigen Größe. Ich weiß nämlich nicht genau welche Nieten wir da verwenden...", sagte Christian am Telefon zu Amadeo und mir. Da wusste ich, wenn ich das zulasse, habe ich erst im nächsten Jahrzehnt den Beam am Boot. Ich habe also an Ort und Stelle entschieden mit 26 Jahren meine Lochbohr-Emanzipation zu beginnen und befohlen: "Na jetzt bitte mach ma es doch einfach gleich fertig! Da sind die Beschläge, bestellen wir gemeinsam alle Schrauben, Nieten und Muttern die notwendig sind, und fertig. Es ist immerhin mein Beam!" Eine lange Bestellliste, eine gut strukturierte Email mit allen "Todos" und zwei Wochen später war dann der vordere Beam auch tatsächlich segelfertig. Korrosionsschutz ordnungsgemäß erledigt. Amadeo ein Lochbohrheld!
Beim Hinterbeam können wir "eh den alten nehmen, den neuen heb ma uns auf". Wir fahren an den Atterssee zum Trainieren und bauen das Boot nach neun Monaten zum ersten Mal mit neuem Vorderbeam wieder auf. Alles passt. Wir schrauben auch den Hinterbeam an. Komisch. "Christian, du, der ist irgendwie sehr hohl, dieser Hinterbeam?". "Wie?". "Na da kann man so durchschauen, da kann man normalerweise doch nicht so durchschauen". "Ahhhh!". Er flucht. Ich wusste, ich werde auch gleich nachziehen, weiß aber noch nicht warum. 35 Grad auf Asphalt. Wir stehen über dem halb zusammengebauten Boot. Wir sind um 4 Uhr aufgestanden, um noch am selben Tag aufs Wasser zu kommen. Daraus wird jetzt sicher nichts mehr. Christian erklärt: "Ich hab in Schweden die Innenverstärkungen aus dem alten Beam nehmen lassen und in den Neuen einbauen lassen, jetzt können wir den alten Beam nicht verwenden. Deswegen ist der auch so hohl."
Mir war nur mehr zum Lachen. Seit mehr als einem halben Jahr ist wegen dieser Beamtauschaktion mein Boot nicht zu segeln, und jetzt geht das Spiel in die Verlängerung. "Aber alte Claus'sche Regel", auf den Spruch habe ich jetzt gewartet, "ein Teil extra haben wir immer noch. Diesmal sogar zwei! Ich hab aus Schweden zwei neue Innenverstärkungen mitgenommen, die sind halt noch nicht gebohrt."
Und schon wieder müssen wir ein Loch irgendwo rein bohren. Diesmal ist es aber ein großes Loch durch ein dickes Gussteil. Außerdem sind die Dinger recht schwer in den Beam hineinzubekommen. Wir rufen also Göran an. "Du wie habt ihr denn diese Verstärkungen damals in die Beams reingebracht?". "Na wir hatten da extra Werkzeug dafür entwickelt". "Super...". "Haut halt mit nem langen Stück Holz drauf bis es an der richtigen Stelle ist. Dann mit einem Standbohrer von beiden Seiten das Loch bohren.". Jetzt weiß ich zumindest schon an wen ich mich wenden muss. Wieder klingelt Amadeos Telefon. "Ja, ja das kriegen wir da schon rein, legt's die Teile halt vorher in den Tiefkühler". Tage später nehmen wir uns den Nachmittag frei und bleiben am Weg nach Weiden bei der Tankstelle stehen um Crashed Ice zu kaufen. Ich lege unsere Innenverstärkungen hinein um sie tiefzukühlen. Mit wirklich eiskalten Gussteilen stehen wir dann zu dritt in Amadeos Halle und halten, messen, hämmern, bohren so lange, bis die Verstärkungen drin sind.
Es ist mittlerweile eine Woche vor Regattabeginn und wir können nun endlich das Boot fertig aufbauen. Zwei Tage "Boatwork" in der prallen Hitze später und alles passt. Auf gehts an den Achensee. Dort treffen wir - noch vor Regattabeginn für zwei Trainingstage - auf traumhafte Segelbedingungen. Vier bis sechs Windstärken, Hitze und eiskaltes, erfrischendes Wasser. Die Vizeweltmeister vom letzten Jahr, die Franzosen, waren auch einen Tag früher angereist, und wollten mit uns trainieren. "When are you going out?", "We are changing the jib halyard, I'll ask Angelika when she is ready.". "Angelika wann sind wir fertig?". "Dreißig Minuten". Ich gehe rüber zu den Franzosen und meine "We are ready in 25 minutes". Wir waren nicht 'ready in 25 minutes'. Unser Fockfall war schon etwas in die Jahre gekommen und an einer Stelle abgemantelt. Es war eine etwa 2mm dicke Leine. Wir tauschten es gegen ¼ Millimeter dickes Schnürl, dass wir in Angelikas 49er Tasche fanden. "Toll, dass du so ein super dünnes Schürl hast!", meinte ich. Das Fockfall hält nämlich keine Last sondern zieht die Fock nur nach oben wo sie dann mit einem Haken in einen Ring eingehängt wird. Mit dieser ultradünnen Schnur haben wir also gleich mindestens 2 Gramm Gewicht gespart. Mein Vater wäre stolz. Wir ziehen 25 Minuten nachdem ich den Franzosen gesagt habe, dass wir nach 25 Minuten ready sind, die Fock nach oben. Ich bin in einen dicken, warmen Neoprenanzug der Größe S gequetscht. Das letzte Mal hat mir dieser Anzug gepasst als ich mit 17 Jahren 470er gefahren bin und zwanzig Kilo weniger wog. Der Anzug war auch viel zu heiß an Land. Ich ziehe am Fall und bekomme die Rechnung für die 2 Gramm Gewichtsersparnis präsentiert: Die grüne ¼ Millimeter dicke Schnur verfängt sich beim aufziehen des Vorsegels so dermaßen in dessen Reißverschluss, dass wir den Zip weder auf noch zu machen können. Es sind 25 Knoten, die Fock flattert halb hochgezogen am Vorstag hin und her und ich stehe fluchend in meinem Quetschanzug da und ziehe an der blöden grünen Schnur, die auch noch so dünn ist, dass man nicht mal vernünftig dran anreißen kann! "Wie kann man nur auf die Idee kommen, so eine dünne Leine zu nehmen! Jetzt ist der Reißverschluss auch gleich hinüber!", rege ich mich auf. Angelika weiß aber wie man mich beruhigt. Einfach nicht ernst nehmen und meckern lassen. Ich mag unser Team.
Wir haben dann wieder die alte Leine montiert und sind eine Stunde zu spät zu unserem Date mit den Franzosen erschienen. Wir bemerken: Die Franzosen sind etwas schneller als wir auf der Kreuz, auf der Vorwind können wir gut mithalten.
Renntag 1
Der erste Start war schlecht. Wir machen bei einer Minute vor dem Start eine Wende in luv vom Startschiff in der dritten Reihe, um uns dort eine Lücke zu suchen, finden dann aber keinen Weg mehr nach vorne. Dritte Reihe heckfrei. Wir kommen an der ersten Luvtonne dennoch als siebter an und beenden den Lauf auf Rang 5.Jetzt in den nächsten Wettfahrten gut starten und dann läuft das schon. Gesagt, getan. In der zweiten Wettfahrt sind wir mit einem guten Start den gesamten Lauf über dritter, knapp am Zweiten dran. Kurz vor der zweiten Luvtonne sage ich den Anlieger an. "Wende jetzt!". Angelika schlägt ein. Ich schlittere über das Trampolin. Schaue hinauf in die Fock, die ich nach der Wende immer gleich etwas fiere und erschrecke.
Die Fock steht back! Sie ist aufgespießt von der Saling und kann so nicht auf die andere Seite wenden. Mit dem gesamten Winddruck im Tuch gibt es keine Möglichkeit sie einfach händisch aus der Saling aufzufädeln. Angelika drückt ganz cool - wie sie sagt "intuitiv" - das Großsegel back und fährt uns rückwärts zurück durch den Wind. Dann neu Geschwindigkeit aufnehmen und diesmal die Fock vor der Wende flattern lassen, dass sie möglichst nicht erneut aufgespießt wird. Drei Boote sind bei der Aktion an uns vorbeigefahren. Auf der Vorwind konnten wir die drei wieder zurückholen und waren bei der Leetonne wieder Dritter. Jetzt aber noch eine Kreuz mit dieser Fock! Die Gier packt uns und wir jagen GER 2, Betz & Betz, die auf Rang 2 waren. Wir nehmen bei den Wenden mehr Risiko, fieren die Fock nicht übertrieben und in Ruhe, sondern hastig und es kam, wie es kommen musste. Das Segel spießt sich beim Wenden ein weiteres Mal an der Saling auf. Das gleiche Spiel von vorne. Rückwärtsfahren. Kassieren. Letztendlich retten wir einen 6ten Platz ins Ziel.
Wettfahrt Nummer drei stand an und keine Chance unsere Fock zu reparieren. Wir nutzen die Zeit zwischen den Rennen und üben das Wenden mit kaputter Fock. Die gelernte Technik funktioniert und wir sind im letzten Rennen des Tages auf Rang 3 im Ziel.
Renntag 2
Der zweite Renntag endete in völliger Erschöpfung. Wieder drei Wettfahrten und in jeder davon waren wir auf der Zielvorwind auf Rang 2. In einer davon hatten wir einen intensiven Kampf mit den Franzosen um Platz 1. Aber nur eine der drei Wettfahrten kommt in die Wertung. Die anderen beiden wurden kurz vor dem Ziel mangels Wind abgeschossen. Kontroversiell und für uns enttäuschend. Wir haben an dem Tag klar bewiesen, dass wir das zweitbeste Team dieser Regatta sind.Renntag 3
Am letzten Renntag schlossen wir an unsere gute Serie an. Auf Platz zwei liegend sind wir im intensiven Kampf mit den Franzosen. Wir jagen auf der letzten Kreuz nur wenige Bootslängen hinterher. "Die sind schon wieder schneller", denke ich mir. "Okay...etwas Cunningham. Nein, doch ein bissl auf. Okay Fock", ich ziehe an jeder Leine, die ich finden kann, "...vielleicht die Fock auf? Okay besser, oder?". Dann höre ich eine Stimme von hinten: "Ruhe am Boot!". "Na, wenns nicht läuft kann ich schlecht Ruhe geben!". "Wenn du mal Ruhe geben würdest, würd‘s vielleicht laufen?". Ich folge dem Kommando meiner Steuerfrau und stehe unbeweglich da. Es läuft besser. Wir kommen kurz vor dem Ziel auf der Vorwind in ein Luvduell mit den Franzosen. Wir hätten sie fast überlaufen, aber sie Halsen kurz vor dem Anlieger direkt am Ende einer Bö ins Ziel und lassen uns ziemlich blöd aussehen. Der Steuermann der Fräntschies meinte im Ziel "You get faster and faster, ah?". "Jo eh!".Die Franzosen beendeten ihre Serie mit lauter Ersten und wir landeten auf Platz 3 knapp hinter den Schweizern. Wir resümieren drei wunderbare, ereignisreiche Segeltage mit für den Katamaran unüblich vielen Wenden auf dem engen See. Wir sind mit dem dritten Platz und dem Mixed Europameistertitel sogar etwas zufrieden.
Ehrungen
Bei der Preisverleihung sehe ich dann zum ersten Mal den tischhohen Wanderpokal der Klasse. Voll graviert mit den Namen aller Europameister zurück bis 1969. Elvstrøm & Elvstrøm, Hagara & Hagara, Petschel & Claus, usw. Ein museumsreifes Stück Segelgeschichte, das an diesem Tag nach Frankreich fuhr. Vor der Abreise gönne ich mir einen Schluck Achenseewasser und meine, dass mir der in unserem Wohnzimmer eigentlich ganz gut gefallen würde.Wir sehen uns bei der Weltmeisterschaft.