Nach EM-Bronze vor ein paar Wochen holen Angelika Kohlendorfer und Calvin Claus Silber bei der Tornado WM am Comer See. Eine großartige Leistung und ein toller seglerischer Erfolg. Wie es dazu kam und welche „Abenteuer“ unsere beiden Protagonisten diesmal zu bestehen hatten, erzählt uns Calvin in gewohnt humorvoller Manier.
Bei uns ist mittlerweile Tradition, dass ein internationales Tornado Event mit einem Besuch beim Maletschek beginnt. Trotz Kostas Trigonis liebevoller Betitelung der Langlebigkeit des Bootes "You will die, it will live!", muss das 27 Jahre alte Boot gewartet werden. Bei unserer ersten Tornado Regatta in Griechenland 2021 wurde uns von Markus Betz erklärt, dass das Trampolin maximal gespannt werden muss. Sowas lassen wir uns natürlich nicht zweimal sagen. Der Vorgang für das Spannen des Trampolins erfordert eine Trapezhose, einen Winter lang wöchentliches Kreuzheben für die Rumpfmuskulatur und einen zweiten Mann (oder Frau). Man nimmt die Trapezhose in die Hand, hakt in das Seil zwischen Trampolin und Rumpf ein, stellt sich vor, man sei ein 200kg Powerlifter beim wichtigsten Wettkampf seiner Karriere, atmet tief in den Bauch ein und zieht an der Trapezhose nach oben aus Beinen und Rumpf. Das Ganze macht man zwischen jedem der ca. 16 Haken und ist nachher für einen Tag außer Gefecht. Das Resultat dieser Methode ist ein maximal gespanntes Trampolin. Unsere 27 Jahre alte Schüssel hatte am Achensee diesen Kampf gegen mich verloren und tiefe Risse entlang einiger dieser Haken bekommen. Clemens Holzapfel hat deswegen wenige Tag vor unserer Abreise, von Göran Marström persönlich gebrieft, das drei Meter breite Boot schief in der Luft aufgehängt und die erwärmte Reparaturmasse in das Boot fließen lassen, um dieses Problem zu beheben ohne das ganze Deck abmontieren zu müssen.Aber das soll noch lange nicht alles gewesen sein, was es zu basteln gab. Christian hat in der Woche vor unserer Abreise die Firma Maletschek, insbesondere deren Segelmacherei, vollständig besetzt. Ein neues Trampolin musste her. Außerdem sollte die Toplatte in unserem Großsegel in einem anderen Winkel angebracht werden. Die sei zu steil gewesen. Das gebrochene Boltrope im Achenseesegel musste ausgetauscht werden und zu guter letzt haben wir aus unserem alten Tornadosegelbestand ein Jessenig-Segel von 2004, das einst Roman und Hans-Peter gehörte, ausgegraben. Wir wissen nicht, ob es "das Goldmedaillen-Segel" ist, aber schlecht wird es schon nicht sein. Dieses Segel ist aber für den alten Aluminium-Mast geschnitten und musste deswegen am Top umgenäht werden, damit es verwendbar wird. Jeder Nadelstich der Segelmacherei wurde von Christian akribisch überprüft und hat die Segelmacher entsprechend kurz vor den Wahnsinn getrieben. Clemens durfte uns währenddessen noch neue Klemmen am Boot montieren, damit wir die Rotation des Mastes steuern können, ohne aus dem Trapez zum Baum zu müssen.
© G. Cocco
Außerdem haben wir noch, dank Stefan Glanz und dem ÖSV, einen Besuch im Containerfriedhof des Verbandes machen dürfen und in den alten Tornadoschätzen gestöbert, um zu schauen, ob da was Interessantes dabei sein könnte. Irgendwo im Weidner Industriegebiet trafen wir uns in der Dämmerung. Ein bisserl wie bei einem Hollywood Drogendeal. Nur, dass die keine Anhänger an den Autos haben. Wir nahmen an Segel mit, was gut aussah.
Mit Segel, Latten, neuem Trampolin, rissfreiem Boot, bedienbarer Mastrotation, Lattensack und Motorboot sind wir zu viert - die Mama war auch dabei - eine Woche vor Regattabeginn Richtung Comersee gestartet.
Wer so viel Material mithat, der braucht auch wen zum Testen. Den geeigneten Trainingspartner haben wir bei der EM vermeintlich gefunden. Das französische Team, das den Europameistertitel ersegelte, hat uns zugesichert, auch früher zu kommen, um zu trainieren. Die soziale Reiberei, die das ganze etwas erschwerte, hat damals noch keiner kommen sehen. Die Franzosen, verwenden ein Trampolin aus Dacron anstelle des Trampolinmaterials, das sonst jeder benützt. Die Idee fanden wir eigentlich ganz nett, Christian meinte aber, dass man lieber nochmal nachfragen sollte, ob das auch erlaubt sei, bevor man ein solches Trampolin herstellt. Das Urteil des Vermessers Leo Sanchez war klar: "According to the rules, this is not allowed". Ups. Gut, wie geht man nun mit dieser Situation um? Also sozial. Christian schreibt eine E-Mail an den Franzosen mit der Information. Die fanden das aber irgendwie doof von uns und haben uns das trotz meiner Versicherung, deswegen nicht zu protestieren, beim Training am Wasser damit gezeigt, dass sie einfach von uns weggefahren sind. Ähnlich nett waren die Interaktionen an Land.
Na gut also nichts mit Materialtests. Die richtigen Segel müssen stattdessen mit Christians geschultem Auge gewählt werden. Es hat 34°C, meine Mutter macht es sich unter einem Baum gemütlich, und Christian, Angelika und ich ziehen ein Segel nach dem anderen rauf. Mein Vater stellt sich dann mit dem Schothorn in der Hand hinter das Achterliek und schaut nach oben. Bei jedem Segel murmelt er irgendwas. Dann sagt er "Runter! Nächstes.". Fünf Schweißperlen laufen ihm die Stirn hinunter, als er sagt: "Urteil: Im Vergleich zu Roman und Hans-Peters Segel schaut unser EM-Segel verwordakelt aus". Na gut, wenn er das sagt, nehm ma das 20 Jahre alte Tuch. Noch ein, zwei Latten aus Norberts Lattensack getauscht. "Jetzt passt’s". Bei denselben 34°C haben wir auch mit der Hilfe eines italienischen Hobbymetallbauers die Focktrack um 3mm näher an den Beam geholt. Der hat sich verbohrt und dann irgendeine italienische Lösung zur Korrektur gefunden. Wir vermissten Amadeo sehr.
© G. Cocco
Nachdem wir am Abend vor dem Practice Race noch eine gerade erst gelieferte neue Fock zum Test aufgezogen haben, fahren wir in der Dämmerung zum Appartment meiner Eltern. Im Kofferraum sind das zwanzig Jahre alte Jessenig-Großsegel mit seinem bereits leicht vergilbten Kleber, Takelgarn, eine Nadel und ein Messer. Nachdem uns meine liebe Mutter verköstigt hat, sitzen Angelika und Christian am Boden und nähen am Segel herum. Die Boltrope muss gekürzt werden, damit das Cunningham besser aufgeht. Jetzt sind wir alle vier endgültig erschöpft. Fünf Tage basteln und trainieren in der prallen Hitze hat seine Spuren an der Stimmung hinterlassen. Wir haben auch so viel verändert, ohne es wirklich testen zu können, dass, zumindest bei Angelika und mir, eine gewisse Unsicherheit über Christians Entscheidungen spürbar war.
Aber genug vorbereitet. Nach dem ganzen Bastel- und Franzosendrama der Trainingswoche beschließen wir familienintern auf den von Tornadosegler Joe Benett aka Joyrider (https://www.youtube.com/@JoyriderTV) inspirierten "Good Vibes Express" Modus umzuschalten. Die Stimmung ist gleich um einiges entspannter und meine heiß geliebte, harmoniebedürftige Steuerfrau mental bereit für den Wettkampf.
Startschuss zum Event. Diesmal können wir uns - anders als letztes Jahr - super bei den Starts behaupten und fahren eine konstante Serie: 4, 5, 2, 3. Zum Erstaunen aller kommt der Weltmeister des Vorjahres (und Vorvorjahres usw.) Kostas Trigonis nicht in die Gänge. Der Olympiateilnehmer fährt die Ränge 8, 6, dnf und 6 in den ersten zwei Tagen und ist somit weit abgeschlagen von der Spitze. Das ändert natürlich unsere Zielsetzung. Ein Platz am Podium ist jetzt ein Muss. Außerdem wollen wir endlich mal eine Wettfahrt gewinnen. Die Franzosen sind in Topform und fahren, mit ihrem von der Tornadoklasse geduldetem Trampolin, 1, 2, 1 und 1. Unser Kampf ist mit den Schweizer Booten. Die Brüder Steiner und Caunillon & Gloor sind in den meisten Wettfahrten in unserer Nähe. Nach 4 Wettfahrten sind wir in der Gesamtwertung im Schweizer Sandwich auf Position drei.
Am Comersee muss man - ähnlich wie am Gardasee - nach rechts. Je besser man auf einen der Landhuks hinwendet, umso besser kann man immer höher und höher mit mehr und mehr Wind auf das Land zufahren, bis man dann nach der Wende immer höher und höher zur Tonne kommt. Wer allerdings zu früh nach rechts geht, der läuft Gefahr zu weit unter der Landhuk anzukommen. Dort ist kein Wind. Wer dort reinfährt, kann wahrhaftig und sprichwörtlich mit den dort plantschenden Touristen baden gehen. Segelgeometrisch bedeuten diese Konditionen, dass man möglichst hoch fahren muss. Wenn man tief und schnell - so wie Kostas Trigonis das am Meer gerne macht - auf das Land zufährt, dann ist man durch den Raufdreher automatisch hinter den Booten, die hoch und langsam drauf zugefahren sind, selbst wenn die VMG beider Boote ident gewesen ist. Und Höhe fahren, das können wir! Es ist der Modus, den wir perfekt beherrschen. Bei 10kts mit dem Hagara/Steinacher-Segel, richtig eingestellter Mastrotation und gerade so fliegendem Rumpf der Flotte Höhe vorzugeben, die sie nicht mithalten kann, erfreut. Wer zu nah in unser Luv kommt, wird sofort getötet. Wer in Lee vor uns wegrast, bekommt die Rechnung von Pythagoras.
Nach dem zweiten Renntag kommt Kostas zu unserem Boot und fragt nach unserem Segel. "Is this Roman's sail? He was fucking fast with this sail.". Gut ausgesucht.
Im Tornadofeld sind die Rivalitäten sanfter Natur. Marcel Steiner und sein Sohn haben uns am Achensee mit drei Punkten Vorsprung geschlagen. In Italien war es insbesondere am zweiten Tag in Wettfahrten 3 und 4 ein harter Kampf zwischen uns und dem Brüderpaar Marcel & Jörg Steiner. Die erste Wettfahrt des Tages waren wir einen Platz vor ihnen auf Rang zwei. In der zweiten Wettfahrt gingen wir so knapp über die Ziellinie, dass bis zum Abend keiner von uns wusste, wer von uns Zweiter und Dritter war. Nichtsdestotrotz waren es die Schweizer - Marcel ist Bootsbauer - die an diesem Abend zwei Stunden lang an unserem Schiff unsere beschädigten Schwertlippen neu geklebt haben. Fast unverschämt sportlich von den beiden. Vielen Dank!
Am vorletzten Tag haben wir uns in der letzten Wettfahrt von an der vorletzten Luvtonne Rang drei, der eine kleine Führung bedeutet hätte, auf Rang 6 gesegelt. Es gab um eine Windstärke mehr Wind in der Wettfahrt, und wir haben den Druck nicht gut weggetrimmt bekommen. Außerdem sind wir um das falsche Gate gefahren, weil wir einen Links- mit einem Rechtsdreher verwechselt haben. Fürchterlich. Mein Gemecker über unsere eigene Blödheit ging die ganze Kreuz, die Zielvorwind bis in den Hafen. Und da man nur so gut ist, wie sein letztes Rennen, gehen wir mit spürbarer Anspannung in den entscheidenden Regattatag.
Vor dem letzten Renntag sind wir nämlich punktegleich mit beiden Schweizer Booten auf den Plätzen zwei, drei und vier. Angelika und ich suchen uns am Morgen einen Platz im Schatten und gehen taktische Szenarien mit Kieselstein und Stöckchen durch. Die Strategie ist nach einem guten freien Start hoffentlich vor zumindest einem Schweizer Boot zu sein und dieses dann zu kontrollieren, idealerweise natürlich beide. Auf direkte 1-1 Duelle am Start wollen wir uns nicht einlassen.
© G. Cocco
Wir fahren raus, segeln uns etwas ein und warten dann beim Startschiff. Als der Wind um 14:00 beginnt mehr aufzufrischen als sonst, steht Christian hinter uns mit drei Latten in der Hand. "Wollt ihr tauschen?". Ich blicke zum Startschiff. Es ist noch kein 10 Minuten Signal gegeben worden. Aber jetzt Groß rauf und runter, drei Latten bändseln, das bringt Hektik. Sowieso ist der Wind nur am Anfang des Tages kurz stark und flaut dann etwas ab. Oder etwa nicht? Wir schauen uns alle eine Minute lang fragend an. "Na gut machen wir's". Wie ich zum Großfall greife, kommt das 10 Minuten Signal. Angelika und ich stehen über dem Feld und rollen das Groß ein. Ich nehme die erste Latte und bändsel sie rein. Dann schaue ich mich um. Der Wind ist wieder etwas schwächer. "Sollen wir zurücktauschen?", frag ich. "Nein tauschen wir nur die eine Latte aus", sagt Christian. Na gut, so machen wirs. Angelika gibt meinem Vater die restlichen Latten zurück. Wir ziehen das Groß. Der Harken oben klickt nicht ein. Immer diese Großfall-Entlaster. Ich ziehe nochmal am Fall. "Klick". Puh. Okay, los geht's.
Ob die Latte was gebracht hat, wird sich zeigen. Zumindest hat es hoffentlich die Schweizer verunsichert. Beim Start positioniert uns Angelika gekonnt in einer guten Lücke auf der rechten Seite der Linie. Wo die Schweizer genau sind, ist uns jetzt egal. Einfach mal gut starten, dann kommen die schon nicht mehr an uns vorbei. Wir ziehen bei 10 Sekunden an, kommen super raus und schauen uns um. Beide Schweizer sind hinter uns. Einer direkt dran, der andere weiter abgeschlagen. Sehr gut, jetzt nur noch kontrollieren. Wir fahren das Rennen an Position drei, öffnen durch kontrollierende Schläge die Lücke auf die Schweizer und sind nach der letzten Kreuz quasi gleichzeitig an der Tonne mit Franzosen und Griechen. Ich gehe rein und mache mich fertig zum Gennaker setzen. Jetzt den Dritten nach Hause fahren und wir haben einen Punkt Vorsprung auf die Schweizer fürs letzte Rennen. Griechen und Franzosen fahren nach der Tonne auf Backbord weiter. "Jibe Set!", höre ich meine Steuerfrau schreien. Etwas riskant, denke ich mir, widerspreche aber nicht. Ich ziehe gehorsam auf der anderen Seite den Spi, und ehe ich wieder Blut im Hirn habe, um zu denken, sehe ich, dass wir die einzigen im Druck sind. Der Grieche halst uns nach, ist aber bald in einer Linie direkt hinter uns. Der Franzose probiert sein Glück weiter auf der linken Seite (von unten) des Regattafeldes. Wir fahren zu der oben erwähnten Wand, bekommen immer mehr Druck, halsen zum Anlieger ins Ziel und kreuzen sowohl Griechen als auch Franzosen mit gemütlichem Abstand. Erster! Uns entkommt im Ziel ein kleiner Freudenschrei. Wir umarmen uns. Die Schweizer sind auf Rang vier geblieben. Drei Punkte Vorsprung!
Mein Vater schreit vom Motorboot "Wisst ihr, dass ihr gewonnen habt?". Der muss glauben, wir treiben blind und taub übers Regattafeld.
Der Blick auf die Uhr kommt als nächstes. Es ist erst 15:00. Bis 15:30 kann gestartet werden. Es gibt also noch Arbeit. Der Plan bleibt ähnlich. Gut und frei starten. Solange wir direkt an den Schweizern dran sind, kann nichts mehr passieren.
Wir positionieren uns wieder rechts, finden eine gute Lücke und sind direkt nach dem Start in Lee von den Schweizern, die wir im letzten Rennen so oft kontrolliert haben. "Wende und hinten vorbei", sag ich, weil ich weiß, dass wir nach rechts müssen. Im Wind stehend, schaue ich nach vorne und sehe die Schweizer mitdrehen. "Die gehen mit! Tief raus mit Vollgas!". "Was für eine mutige Wende der Schweizer", denke ich bei mir. Wir hüpfen ins Trapez. Ich bekomme das Großsegel zurück übergeben und reiße an der Schot. Der Rumpf kommt sofort hoch. Wir fahren Kopf an Kopf. Ich höre das Plätschern des feindlichen Leerumpfes in einem, Angelikas "auf, auf, dichter" im anderen Ohr. Wer jetzt die Nerven für gefühlvolles Fahren hat, der wird Vizeweltmeister. Ich entscheide mich nicht hinzusehen und mich nur auf unser Boot zu konzentrieren. Das Plätschern in Lee wird leiser und kommt dann von hinten. Ich drehe mich um und sehe die Schweizer Fahne achteraus.
Wir fahren die Wettfahrt souverän kontrollierend zu Ende und sichern uns so den Vizeweltmeister Titel. Im Hafen erwartet uns die Mama mit Käse, Wurst, etwas trockenem Weißbrot und Tomaten. So gut hat die ganze Woche nichts geschmeckt.
Wir bedanken uns recht herzlich beim Yachtclub Podersdorf für die Bereitstellung des Motorbootes, bei Christian, der das ganze Jahr lang jegliche verfügbare Freizeit für dieses Projekt geopfert hat, und meiner Mutter, die meinen Vater managed. Ein Hoch auch auf unsere ehrenhaften Schweizer Konkurrenten, ohne die es langweilig gewesen wäre.
Die Tornadoklasse zeigte sich im aufsteigenden Trend mit einem starken und kompetitiven Feld von 30 Booten. Für On-Board Videoberichterstattung darf ich den Kanal Joyrider empfehlen. Dort bekommt man ein gutes Gefühl für die Action am Boot.